Kapitel 10 – Gleis 9 ¾
Die letzten Wochen bis zum Ende der Ferien vergingen schnell. Harry war bei der Anhörung im Ministerium gewesen und war freigesprochen worden. Auch die Listen für die Schulbücher waren gekommen und Ron und Hermine waren Vertrauensschüler geworden. Angelina freute sich für ihre Freunde.
Den Brief von Draco hatte sie ebenfalls endlich lesen können. Allerdings war er schon gar nicht mehr so interessant, da zwischenzeitlich schon ein weiterer von ihm eingetroffen war, indem er berichtete, dass er ebenfalls Vertrauensschüler geworden war. Matthew verfasste eine Antwort an Draco und nahm ihr die Arbeit ab, was genau er jedoch schrieb, wusste sie nicht und der Brief war auch nicht für ihre Augen bestimmt gewesen, denn Matthew schrieb gleichzeitig noch an einen seiner anderen Freunde aus Slytherin.
Am letzten Abend bevor es wieder nach Hogwarts gehen sollte, saßen viele Mitglieder des Ordens beim Abendessen, darunter auch Mad-Eye Moody, der ein interessantes Foto für Harry, Angelina und Matthew mitgebracht hatte.
Die kleinen Leute in der Fotografie drängelten und schubsten sich hin und her, da jeder zusehen sein wollte. Es war ein Foto des alten Phönix Ordens. Moody erzählte ihnen zu fast allen Personen, die auf dem Foto abgebildet waren, etwas dazu. Angelina hörte interessiert zu, im Gegensatz zu Harry und Matthew. Die beiden Jungen waren damit beschäftigt, sich bestimmte Personen genauer anzusehen. Harrys Augen sahen gespannt seinen Eltern zu, während Matthew seine Mutter musterte und immer wieder zu Angelina blickte.
„Was hast du?“, fragte Angelina ihren Bruder irgendwann irritiert.
Matthew schüttelte den Kopf: „Ich musste nur gerade feststellen, dass du ihr wirklich zum verwechseln ähnlich siehst.“ Er lächelte.
Angelina betrachtete das Foto ebenfalls genauer. Ihre Mutter fand sie sofort. Rechts neben ihr stand Sirius, der einen Arm um sie gelegt hatte und links neben ihr ein weiteres Paar. Nevilles Eltern.
„Die Frau neben meiner Mutter? Sie sagten es sei Nevilles Mutter, Professor… Was ist mit ihr passiert?“, fragte Angelina Moody.
„Kein schönes Schicksal“, murmelte Moody. „Lieber tot, als das, was den Longbottoms passiert ist“, erklärte er.
„Sie sind nicht tot?“, fragte Matthew und sah auf. „Ich dachte Longbottom wäre bei seiner Großmutter aufgewachsen?“
„Nein, die Longbottoms sind nicht tot. Sie sind bis zum Wahnsinn gefoltert worden. Sie liegen im St. Mungo“, erzählte Moody mit flüsternder Stimme. Angelina schluckte und schwieg.
„Der Professor… Professor Snape, er ist nicht auf dem Foto“, stellte Matthew fest.
„Er war damals noch nicht im Orden“, sagte Moody.
Angelina glaubte Harry etwas wie: „Er gehört auch jetzt nicht in den Orden“, sagen gehört zu haben und musste ein wenig lächeln.
„Ich hab meinen Koffer noch nicht fertig gepackt“, meinte Harry kurz darauf und stand auf. „Gute Nacht“, erklärte er und verschwand aus der Küche. Auch Matthew stand auf, als Sirius auf sie zukam.
„Was hast du da, Mad-Eye?“, fragte Sirius. Angelina reichte Sirius das Foto und beobachtete seinen Gesichtsausdruck.
„Der alte Orden“, murmelte Sirius. „Ich muss mein Foto auch noch irgendwo oben zwischen meinen Sachen haben“, überlegte er.
Sirius und Moody begannen ihr noch mehr über die Menschen auf dem Foto zu erzählen und sie hörte gespannt zu.
„Ich werde jetzt auch nach oben gehen. Gute Nacht“, verabschiedete sie sich schließlich und verließ die Küche.
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Am nächsten Morgen war große Unruhe im Hauptquartier des Phönix’ Ordens. Es herrschte allgemeine Hektik. Sirius hatte schließlich doch noch seinen Dickkopf durchsetzen können und nun begleitete er sie in Hunde-Gestalt zum Bahnhof.
Langsam schob Angelina den Gepäckkarren vor sich her zur Absperrung. Matthew lief direkt neben ihr. Seine Eule war in einen Käfig gesperrt und schrie schon seit einigen Minuten unentwegt.
„Geht’s dir nicht gut?“, fragte Matthew sie.
Angelina lächelte matt: „Nein, es… es ist nur… ich glaube, ich werde den Grimmauld Place vermissen.“ Sie strahlte ihren Bruder an: „Das waren die besten Ferien seit langem.“ Matthew erwiderte das Lächeln nur schwach, aber irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass es ihm genauso ging.
Vor der Absperrung blieben sie stehen. Mrs. Weasley war schon durch die Wand verschwunden und Matthew sah seine Schwester an. Es war das erste Mal, dass sie gemeinsam durch die Absperrung gehen würden.
„Na dann, auf ein Neues“, sagte er.
Angelina nickte heftig: „Auf ein Neues.“
Sie liefen gleichzeitig auf die Wand zu und griffen beim Laufen nach der Hand des jeweils anderen, bevor sie auf den Bahnsteig traten.
Eltern liefen hastig hin und her, und hier und da krochen ihnen Katzen durch die Beine hindurch.
Die Weasley- Zwillinge waren schon mit Ginny im Zug verschwunden, um sich ein freies Abteil zu suchen, doch Angelina wurde von Remus zurückgehalten.
„Ich weiß, wir waren in der letzten Zeit nicht immer einer Meinung. Nun gut, vielleicht waren wir nie einer Meinung, aber ich möchte dich noch um etwas bitten.“
Angelina rollte mit den Augen, sie erwartete eine Ermahnung, doch als Remus nichts sagte, sah sie ihn erwartungsvoll an.
„Bitte, pass auf dich auf“, erklärte Remus schließlich nur. Angelinas Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und ließ sich von Remus in den Arm nehmen. „Bitte, pass auf dich und Matthew auf“, erklärte Remus erneut.
Sie ließ ihn wieder los und nickte: „Ich pass auf“, versprach sie. „Auf mich und Matthew. Du weißt auch noch, was du versprochen hast?“, fragte sie.
Remus nickte: „Ich werde daran denken.“ Angelinas Lächeln wurde breiter.
Als Remus ihr zu Beginn der Ferien gesagt hatte, dass sie die Ferien nicht zuhause verbringen würde, war sie sauer gewesen, denn sie hatte Matthew einladen wollen. Er sollte endlich auch einmal sehen, wo sie mit ihrer Mutter gelebt hatte, doch Remus hatte ihr versprochen, das in den nächsten Ferien nachzuholen.
Plötzlich rissen sie die Worte: „Netter Hund, Potter“, wieder aus den Gedanken. Die Stimme klang eisiger, als sie sie gewohnt war, doch Angelina wusste genau, wem sie gehörte.
Sie drehte sich auf dem Absatz um und drei Meter von ihr entfernt stand ein groß gewachsener, blonder Junge. Er trug schon jetzt seine Schuluniform und seine Brust zierte ein Vertrauensschülerabzeichen.
„Draco“, rief Angelina, beschleunigte ihre Schritte und lief auf ihn zu. Draco hatte ihre überstürzte Umarmung nicht erwartet und war ein bisschen überrumpelt, aber schlussendlich schloss auch er sie in die Arme.
„Hat der Werwolf dich ganz gelassen?“, flüsterte er ihr zu.
„Hey“, empörte sich Angelina und löste sich wieder von ihm, doch Draco begann zu lachen.
„Es sollte ein Scherz sein. Ich bin froh, dich zu sehen. Als Matthew in seinem Brief schrieb, dass es dir wieder besser geht, war ich echt erleichtert. Ich hab mir wirklich ein bisschen Sorgen gemacht.“
„Kennst du so etwas überhaupt, sich Sorgen machen?“, fragte Harry, der immer noch da stand. Der schwarze Hund, von dem Angelina wusste, dass es Sirius war, beobachtete die Szene, die sich ihm hier bot, misstrauisch.
„Seit wann hast du einen Hund, Potter? Ist deine Eule abgehauen?“, fragte Draco und da war sie wieder, diese Kälte in seiner Stimme. Sirius knurrte ihn an.
„Lass gut sein“, murmelte Harry ihm zu und musste sich alle Mühe geben, Sirius zurück zu halten. „Ich wüsste nicht, was dich das angeht, Malfoy“, zischte Harry.
„Gibt es ein Problem, Mr. Potter?“, fragte jetzt eine Stimme, bei der sich Angelinas Nackenhaare aufstellten.
„Nein Vater, es gibt kein Problem!“, erklärte Draco und griff nach Angelinas Hand, um sie fortzuziehen: „Wir wollten gerade einsteigen.“
„Willst du mich nicht vorstellen, Draco?“, fragte Mr. Malfoy und blickte zu Angelinas Hand, nach der Draco gerade gegriffen hatte. Fast gleichzeitig ließen beide die Hand des Anderen los und traten einen halben Schritt auseinander.
„Sicher Vater“, murmelte Draco und Angelina spürte, wie er innerlich immer kleiner wurde. Draco räusperte sich. „Vater, das ist Angelina Brooklyn Parker, eine Freundin von mir.“ Er wandte den Blick zu ihr: „Angelina, darf ich vorstellen, mein Vater.“
„Sehr erfreut, Miss Parker“, meinte Dracos Vater und hielt ihr die Hand hin. Zögernd ergriff Angelina sie und zuckte zusammen, als er sie schüttelte, denn Mr. Malfoys Hand war eisig.
„Gleichfalls, Mr. Malfoy“, erwiderte sie höflich.
„Wir müssen jetzt auch“, sagte Draco und Angelina war sicher, ein wenig Panik in seiner Stimme zu hören. Erneut griff er nach einer ihrer Hände und zog sie Richtung Zug.
„Willst du Miss Parker nicht auch noch deiner Mutter vorstellen?“, fragte Mr. Malfoy.
„Ein…ein anderes Mal, Vater. Wir müssen jetzt wirklich in den Zug“, antwortete Draco und zog Angelina weiter mit sich: „Komm, das Vertrauensschülerabteil ist…“
„Ich bin keine Vertrauensschülerin. Und ich muss auch noch meine Koffer in den Zug bringen“, meinte Angelina daraufhin.
„Bist du nicht? Wer denn dann? Doch nicht etwa… Granger?“
Angelina nickte: „Ich muss jetzt meine Koffer holen. Weißt du wo Matthew ist?“
„Ist schon mit Blaise und Theo in den Zug gestiegen“, erklärte Draco. „Okay, wir sehen uns später noch.“
Hastig eilte Angelina noch einmal zu den Erwachsenen, um ihre Koffer zu holen. Sanft strich sie Sirius zum Abschied über den Hundekopf und verabschiedete sich von allen.
„Wir sehen uns an Weihnachten“, rief Tonks ihr noch zu. „Und pass auf Matt auf.“
„Bis Weihnachten, Tonks“, rief Angelina zurück und kletterte in den Zug. Keine Minute später ertönte ein lauter Pfiff und der Zug fuhr ab.