Kapitel 2 – Ein Brief sorgt für Wirbel
Sie saßen den Rest des Abends dort am Küchentisch und Sirius und Remus erzählten von früher. Und sehr, sehr oft kam Angelinas Mutter in ihren Geschichten vor, was Angelina sehr glücklich machte. Es war ein gutes Gefühl, dass es außer ihr noch mehr Menschen gab, die sie vermissten. Sirius sagte mehr als nur einmal, dass sie ihrer Mutter sehr ähnlich sehe. Außer ihre Haare. Nein, die Haare habe sie nicht von ihrer Mutter. Ihre Mutter hatte blonde Haare gehabt. Angelinas Haare allerdings waren schwarz. Schwarze, leicht gelockte Haare, bis zu den Ellenbogen.
Wenn Angelina Remus und Sirius so über ihre Mutter sprechen hörte, dann hatte sie ständig das Gefühl, ihre Mutter wäre noch bei ihr.
Tonks erwähnte ebenfalls mehrmals, dass Angelina ihrer Mutter sehr ähnlich sähe. Denn als Angelina am frühen Abend die Küche betreten hatte, hatte Tonks im ersten Augenblick geglaubt, ihre Mutter und nicht Angelina hätte die Küche betreten.
Allein Matthew hatte die meiste Zeit geschwiegen. Er saß neben Angelina und beobachtete sie und die anderen Erwachsenden im Raum die ganze Zeit über sehr genau.
„Es wird langsam Zeit, findet ihr nicht?“, fragte Remus mit einer Kopfbewegung Richtung Wanduhr. Es war kurz vor Mitternacht.
„Aber Herr Professor, wollen Sie uns etwa erzählen, dass sie in unserem Alter auch in den Ferien schon so früh ins Bett gegangen sind?“, fragte Angelina in entsetztem Tonfall. Sirius lachte auf und handelte sich dafür einen bösen Blick von Remus ein.
„Nein, Remus doch nicht. Remus lag immer brav in seinem Himmelbett im Schlafsaal“, erklärte Sirius grinsend.
„Und das sollen wir euch glauben?“, fragte Tonks grinsend.
„Der Tag war lang“, erklärte Remus fest. „Und die Ferien sind ja nicht morgen schon zu Ende, also los. Ihr zwei solltet jetzt in eure Betten.“
„Es ist doch erst…“, begann Angelina, doch Matthew war aufgestanden und griff nach ihrem Oberarm. Er zog ein bisschen daran und deutete ihr damit an, dass sie jetzt besser ins Bett gehen sollten.
„Komm jetzt, der Professor hat Recht. Es wird Zeit. Du bist sicher müde“, sagte Matthew und Angelina stand unter Protest auf.
„Danke, Matthew!“, erklärte Remus und lächelte Matthew matt zu. Der erwiderte das Lächeln jedoch nicht. Er nickte bloß und mit einem knappen: „Gute Nacht“, hatte er die Küche auch schon verlassen.
„Gute Nacht Tonks, Sirius“, Angelina sah die drei Erwachsenen freundlich an.
„Gute Nacht Angelina“, sagten Tonks und Sirius.
Bevor Angelina die Küche verließ ging sie an Remus’ Stuhl vorbei, gab ihm einen leichten Kuss auf die Wange und flüsterte: „Gute Nacht.“
„Gute Nacht, Kleines“, sagte Remus leise. Dann trat sie in den dunklen Flur hinaus.
Mit leisen Schritten tastete sie sich vor zur anderen Zimmerseite. Mit den Händen fühlte Angelina nach der Wand und kratzte dabei unbeabsichtigt mit den Fingernägeln über die Holztäfelung.
„Psst, sei ruhig da unten“, flüsterte eine Stimme die Treppen herunter.
„Ich kann nichts sehen“, erklang ihre Stimme zur Antwort.
„Psst, ist ja gut. Ich komme runter, aber sei leise“, Matthew klang ein bisschen verärgert. Angelina hatte nun das Treppengeländer erreicht und hielt sich daran fest. Langsam nahm sie Umrisse wahr. Matthew kam die Treppe herunter und griff nach ihrer Hand auf dem Geländer.
„Komm jetzt, aber leise“, flüsterte er ruhig und führte seine Schwester langsam die Treppen hinauf. Er zog sie den Gang entlang, an ihrem Zimmer vorbei und öffnete seine eigene Zimmertür. Ein schmaler Lichtstrahl erleuchtete nun den Gang und endlich konnte Angelina wieder etwas sehen. Sie folgte ihrem Bruder durch die Tür hinein und schloss Matthew die Tür.
Auch in diesem Zimmer standen drei Betten. Zwei davon waren noch unbenutzt. Das Dritte allerdings war schon durcheinander gebracht worden. Am Fußende stapelten sich einige Bücher und ein Umhang lag auf dem Kopfkissen. Auf dem Nachttisch daneben lagen unzählige Pergamentrollen und eine grüne Feder.
„Setz dich, oder willst du dir die Beine in den Bauch stehen?“, fragte Matthew grinsend. Er legte die Umhänge beiseite und setzte sich selber auf sein Bett, dabei gerieten seine schwarzen Haare durcheinander und Angelina musste grinsen. Sie mochte Matthews Haare, sie erinnerten sie an irgendjemanden. Angelina wusste bloß nicht an wen.
„Was grinst du denn so?“, fragte Matthew und zog die Augenbrauen skeptisch in die Höhe.
„Nichts, gar nichts“, erklärte Angelina und machte einen Schritt nach vorne, um sich auf eines der beiden anderen freien Betten zu setzen. Allerdings stolperte sie über einen Koffer, der offen unter Matthews Bett hervorlugte. Sie fiel geradewegs auf das leere Bett und jetzt beide mussten lachen.
„Du und deine Ordnung“, tadelte sie ihn scherzhaft.
„Ich weiß… ich weiß... Sie treibt dich noch in den Wahnsinn“, grinste er.
„Hör auf zu grinsen“, Angelina warf mit einem Kissen nach ihm.
„Sonst noch was?“, fragte er, streckte ihr die Zunge raus und warf das Kissen zurück.
„Sonst nichts“, sagte sie, fing das Kissen und legte es unter ihren Kopf. „Seit wann bist du hier?“
„Seit zwei Tagen. Als wir abends vom Bahnhof nach Hause kamen hatte ich eine Stunde um alles einzupacken, was ich in den Ferien noch brauchen könnte. Mitten in der Nacht sind wir mit Besen her geflogen“, erzählte er.
„Und was hast du bis jetzt so gemacht? Ich kann mir vorstellen, dass Tonks und Sirius während der Ferien eine tolle Gesellschaft abgeben können“, überlegte Angelina begeistert.
„Natürlich, Tonks schon, aber dieser Black… Sirius Black… du weißt schon was er gemacht hat?“, fragte Matthew und sah seine Schwester unsicher an.
Angelina drehte sich auf die Seite und blickte Matthew an: „Worauf willst du hinaus? Sirius ist kein Mörder. Er hat die Potters nicht auf dem Gewissen.“ Angelina wurde ein bisschen laut.
„Okay, okay… wenn du meinst. Ich mag ihn trotzdem nicht. Hast du gesehen wie...?“
„Wie was?“, Angelina sah ihn ungeduldig an.
„Wie er dich angesehen hat?“
„Wie hat er mich denn angesehen?“, fragte sie belustigt.
„Lass uns morgen drüber reden, ja?“, wich er ihrer Frage aus.
„Aber… okay, du hast Recht. Ich bin auch müde. Ich sollte jetzt wohl besser rüber gehen…“, doch den Satz brachte sie nicht mehr zu Ende, denn sie war schon eingeschlafen.
°*°*°*°*°*
Am nächsten Morgen, es war eigentlich noch recht früh, kitzelte etwas Angelinas Nase und sie blinzelte ein paar Mal mit den Augen. Langsam richtete sie sich auf und sah sich im Zimmer um. Die Decke rutschte dabei zur Seite. Die Decke? Verwirrt sah sie an sich herab. Eine helle Wolldecke lag über ihren Beinen. Sie bewegte vorsichtig die Zehen. Sie blickte neben das Bett und da standen ihre Schuhe und in ihnen stecken ihre Socken. Immer noch leicht durcheinander blickte sie sich erneut im Zimmer um, dann sah sie Matthew, der fest schlafend im Bett neben ihr schlief. Sie lächelte. Matthew hatte ihr mit Sicherheit die Schuhe und die Socken ausgezogen und sie zugedeckt. Sie war froh, dass er da war.
Nachdem sie ihn ein paar Minuten so angesehen hatte, stand sie auf und tappte barfuss durchs Zimmer. Ganz leise, um Matthew bloß nicht zu wecken. Langsam schob sie die Tür an der linken Seite des Zimmers auf und sie hatte Recht mit ihrer Vermutung gehabt, denn hier befand sich tatsächlich ein kleines Badezimmer.
Sie wusch sich und ging dann wieder zu dem Bett. Sie legte die Decke zusammen und zog das Lacken wieder glatt. Als sie gerade dabei war das Kissen aufzuschlagen, wurde die Tür ruckartig geöffnete und ein Mann mit pechschwarzen Haaren kam ins Zimmer.
„Matthew, hast du deine Schwester gesehen? Wir können sie nirgends…“, doch dann bleiben ihm die Worte im Hals stecken.
„Psst. Sei doch still. Matthew schläft noch“, zischte Angelina und legte das Kissen ordentlich an seinen Platz zurück, dann schnappte sie sich ihre Schuhe und zog Sirius hinter sich her aus dem Zimmer.
„In der Bibliothek ist sie auch nicht“, Remus kam die Treppen aus dem zweiten Stock herunter.
„Alles in Ordnung Moony, ich hab sie!“, erklärte Sirius.
„Wo warst du?“ Angelina bemerkte den besorgten Gesichtsausdruck von Remus.
„Ich bin bei Matthew eingeschlafen“, erklärte sie und huschte an den beiden Erwachsenen vorbei. Sie öffnete kurz die Tür zu ihrem Zimmer, stellte die Schuhe um die Ecke und lief dann die Stufen hinunter.
„Wo willst du hin?“, flüsterte Sirius ihr nach.
„Zum Frühstück… oder gibt es keins?“, fragte Angelina und blieb unten auf der letzten Stufe stehen.
„Natürlich, du hast Recht, Frühstück.“ Ohne auch nur irgendetwas anderes sagen zu wollen, folgte Sirius ihr die Treppen herunter. Angelina bemerkte mit einem Blick zu Remus, wie dieser den Kopf schüttelte und musste lächeln.
Als sie die Küche betraten saß Tonks bereits am Küchentisch und las den Tagespropheten.
„Guten Morgen“, murmelte sie hinter den Seiten hervor.
„Guten Morgen, Tonks. Steht was Interessantes drin?“, fragte Angelina und setzte sich zu ihr auf einen Stuhl.
„Nein, eigentlich nicht. Ich suche noch nach was Interessantem“, erklärte Tonks und trank einen Schluck Kaffee. Remus und Sirius setzten sich ebenfalls. Tonks blickte vom Tagepropheten auf.
„Matthew ist noch am schlafen?“, fragte sie.
Angelina nickte: „Tief und fest. Hat gestern bestimmt zu viele Hausaufgaben erledigt.“
Eine Eule pochte gegen das Küchenfenster und Angelina sprang von ihrem Stuhl auf, um es zu öffnen. Das nachtschwarze Tier flog in den Raum, kreiste einmal über den Tisch und ließ sich dann auf Angelinas Schulter nieder.
Sie band der Eule den Brief vom Fuß, dann ging sie zum Tisch, nahm einen Keks und fütterte damit die Eule. Sie kannte das Tier. Wenn sie zu viel zu lernen gehabt hatte und sich länger nicht im der Bibliothek hatte blicken lassen, dann war sie immer mit einem Brief los geschickt worden und Angelina war so zu einer kurzen Pause gezwungen gewesen.
Angelina lächelte und gab der Eule noch einen weiteren Keks, bevor diese wieder aus dem offenen Fenster verschwand. Sie schloss das Fenster und setzte sich wieder zu Remus, Tonks und Sirius an den Küchentisch. Angelina betrachtete den Brief. Der Umschlag war aus feinem Papier und mit grüner glänzender Tinte stand vorne:
Angelina Brooklyn Parker
London, England
Nun, er wusste nicht, wo sie sich im Augenblick aufhielt. Bis gestern hatte sie selbst nicht gewusst, wo sie die Ferien verbringen würde. Sie hatte zwar gehofft, dass sie gemeinsam mit Matthew irgendwo unterkommen würde, aber gewusste hatte sie es nicht.
„Willst du ihn nicht öffnen?“ Sirius riss sie mit seiner Frage aus ihren Gedanken.
„Wie? Oh, natürlich.“ Angelina lächelte und öffnete vorsichtig den Umschlag. Eine Pergamentseite in ordentlichster Handschrift kam zum Vorschein. Der Brief war mit derselben grün glänzender Tinte geschrieben, wie die Worte auf dem Umschlag. Kleine Buchstaben füllten das Blatt. Dann begann sie zu lesen:
Liebe Angelina,
drei Tage Ferien und ich sitze schon in meinem Zimmer und starre Löcher an die Decke. Dieses Jahr ist irgendwie alles anders als sonst.
Es gab Ärger Zuhause, als ich aus Hogwarts wieder zurück war. Es dauerte keine zwei Minuten, da schickte mich mein Vater auf mein Zimmer. Ohne Begründung. Ich würde nur im Weg stehen, war das einzige was er sagte.
Ich weiß nicht genau was hier vorgeht, aber meine Mutter ist abends nur am weinen und mein Vater geht ununterbrochen ein und aus. Gestern Nacht ist er kurz vor Mitternacht noch einmal verschwunden und ist bis jetzt nicht wieder gekommen.
Die Sache wird langsam merkwürdig, aber in ein paar Tagen habe ich heraus, was hier gespielt wird, das versichere ich dir.
Wo wir gerade bei merkwürdig sind, wo bist du eigentlich? Das Letzte, was ich von dir gesehen und gehört habe, war am Bahnsteig. Du bist diesem Lupin um den Hals gefallen. Kannst du mir mal erklären, was hier vor geht? Wo hat er dich hingebracht?
Ich hab bereits vorgestern Abend zwei Eulen zu dir geschickt, sie sind nicht angekommen, oder? Hoffentlich bekommst du diesen Brief, denn langsam werd ich ungeduldig. Matthew hat bis jetzt auch noch auf keinen Brief geantwortet. Er ist nicht mehr bei dieser Tonks, oder?
Hör zu, ich versuche meinen Vater zu überreden, dass ihr während der Ferien her kommen könnt. Ich denke bei dir wird es auch kein Problem geben, aber bei Matt…
Du weißt wie er auf den Namen „Tonks“ reagiert. Er schreit immer das Haus zusammen, nennt ihn Blutsverräter.
Ich hab ihm mal versucht zu erklären, dass Matthew nur bei ihnen aufgewachsen ist, dass er nur adoptiert wurde und nicht weiß, wer seine Eltern sind, aber das half auch nicht weiter.
Tonks ist Tonks. Er wurde von ihnen trotzdem nicht richtig erzogen.
Du weißt doch. Ich erwähne Matthew besser nicht, wenn meine Eltern in der Nähe sind. Es gefällt Vater nicht, dass ich mich mit ihm „abgebe“
Hoffentlich geht es dir gut, ansonsten kann Lupin am Schuljahresbeginn was erleben.
Antworte diesmal, bitte.
Draco
Angelina las den Brief ein weiteres Mal, bevor sie ihn wieder ordentlich zusammenfaltete. Sie legte ihn neben ihren Teller und schmierte sich einen Toast.
Der Brief brachte sie zum Nachdenken.
>> Gestern Abend ist er um kurz vor Mitternacht noch einmal verschwunden und bis jetzt nicht wieder zurückgekommen. Die Sache wird langsam merkwürdig. <<
„Von wem ist der Brief?“ Matthew war in die Küche gekommen.
Angelina sah auf: „Guten Morgen, Matt. Hast du gut geschlafen?“, fragte sie fröhlich.
„Könnte nicht besser sein. Von wem ist der Brief?“, fragte er erneut und setzte sich zu ihr.
„Draco. Er meinte, er hätte schon Briefe an dich geschrieben und du hättest ihm nicht geantwortet?“, sagte sie und sah ihren Bruder dabei fragend an.
„Draco?“ Remus unterbrach sein Gespräch mit Sirius und Tonks und blickte Angelina fragend an: „Draco…wer?“
„Malfoy. Draco Lucius Malfoy, wieso? Was ist mit ihm?“ Sie blickte zu den Erwachsenen.
„Du wirst ihm nicht antworten, klar? Es wundert mich, dass er überhaupt noch schreibt. Die letzten beiden Briefe hab ich doch abgefangen“, erklärte Remus bestimmt.
„Du hast meine Briefe abgefangen, ohne es zu erwähnen?“, fragte Angelina erstaunt.
„Du wirst ihm nicht schreiben“, sagte Remus erneut. „Nicht eine Zeile, haben wir uns verstanden?“
„Aber warum denn nicht?“ Das Mädchen sah ihn verwundert an.
„Weil es viel, viel zu gefährlich ist. Angelina, denk nach. Du-weißt-schon-wer ist zurück und Dracos Vater ist einer seiner treuesten Anhänger. Wenn du ihm auch nur irgendetwas vom Orden schreiben würdest… Nein, es ist viel zu gefährlich.“
„Willst du damit sagen ich kann ihm nicht vertrauen? Draco verrät seine Freunde nicht“, sagte Angelina gereizt.
„Er ist und bleibt ein Malfoy“, bemerkte Sirius und Angelina sah ihn finster an.
„Es bleibt dabei. Du schreibst ihm nicht“, erklärte Remus abermals.
„Aber er wird sich fragen, warum ich ihm nicht antworte“, rief sie aufgebracht.
„Er wird aufgeben zu schreiben.“
„Du kannst mir nicht verbieten, ihm zu schreiben.“
„Doch, kann ich“, Remus begann zu schreien. „Ich, als dein Vormund, verbiete es dir, ihm auch nur eine einzige Zeile zu schreiben.“ Er war vom Stuhl aufgesprungen, so aufgebracht war er.
„Ich bin nicht taub“, bemerkte Angelina knapp, nahm den Brief und rannte die Treppen hoch auf ihr Zimmer.
In der Küche hörte man nur noch die Tür zuknallen.