Kapitel 6 – Gespräche bei Nacht
Lieber Draco,
Matthew und mir geht es gut. Auf Grund der Ereignisse beim Trimagischen Turnier hielt Remus es für das Beste, mich an einen geschützten Ort zu bringen. Matthew ist auch hier, und die Weasleys.
Dein Brief heute Morgen hat für viel Wirbel gesorgt. Remus will nicht, dass ich dir schreibe. Er hat deine vorherigen Briefe alle abgefangen. Matthew und ich gehen davon aus, dass Tonks auch seine Briefe abgefangen hat.
Die Erwachsenen halten es für zu gefährlich dir zu schreiben, da die Briefe möglicherweise auch von Todessern abgefangen werden könnten.
Sei also bitte vorsichtig, wenn du antwortest. Schick deine Eule so los, dass sie entweder früh morgens oder spät abends hier ankommt, sonst bekomme ich den Brief nicht, bevor Remus ihn in die Finger kriegt.
Der ist auf dich nämlich ganz und gar nicht gut zu sprechen.
Hast du mittlerweile herausgefunden, warum dein Vater ständig weg ist? Oder ist er jetzt nicht mehr bis spät in die Nacht fort?
Wie geht’s deiner Mutter? Ich will ja nichts sagen, aber ich könnte mir vorstellen, dass es daran liegt, dass dein Vater ständig weg ist. Vielleicht solltest du dich einfach um deine Mutter kümmern, dann erzählt sie dir, wo dein Vater hin ist.
Deine Angelina
P.S. Viele Grüße auch von Matthew
Angelina war fertig mit dem Vorlesen und blickte zu Matthew: „Kann ich den Brief so abschicken?“
„Musstest du ihm sagen, dass er sich um seine Mutter kümmern soll?“, fragte Matthew. „Er wird dir sowieso sagen, dass seine Mutter alleine klar kommt.“
„Sehr feinfühlig Matthew. Auch wenn Mrs. Malfoy eine erwachsene Person ist, könnte sie doch sicher jemanden zum Reden brauchen. So wie Draco das immer erzählt, sitzt seine Mutter das ganze Jahr über zu Hause, und wenn sein Vater auch noch ständig weg ist, dann tut ihr Dracos Gesellschaft bestimmt ganz gut. Findest du nicht auch?“
„Ich denk nicht, dass Draco sich um seine Mutter Sorgen macht, oder dass es ihn interessiert, was seine Mutter das ganze Jahr über tut, wenn Mr. Malfoy nicht zu
Hause ist. Draco hat sicher andere Sorgen“, stellte Matthew fest.
„Du stellst Draco gerade wie einen gefühllosen Eisklotz dar…“, bei diesem Teil des Satzes begann Matthew zu lächeln, „… genau wir Ron. Der glaubt auch immer ihr Slytherins habt kein Gewissen.“ Nachdem Angelina den Satz beendet hatte, verschwand das Lächeln sofort wieder aus Matthews Gesicht.
„Willst du mich mit Weasley vergleichen?“ Matthew schnaubte.
„Wie gesagt, Ron glaubt auch immer, ihr habt kein Gewissen“, wiederholte Angelina und faltete den Brief zusammen.
Matthews Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen. Das Braun seiner Augen funkelte böse. Angelina hob den Kopf und erwiderte den Blick. Sie schluckte und wollte dem Blick ausweichen, doch irgendwie ging es nicht.
„Matthew“, flüsterte sie in die Stille. Ihr Bruder wandte den Kopf ab. „Matthew, du… du machst mir Angst“, flüsterte sie und legte den Brief zur Seite. Matthew stand vom Bett gegenüber auf und schritt zur Zimmertür.
„Wohin willst du?“, fragte Angelina und sprang auf. Sie eilte ihm nach und hielt ihm am Arm fest: „Matthew, was ist los?“ Ohne zu antworten schob er ihre Hand zur Seite und drückte die Türklinke nach unten.
„Oh, ich verstehe!“ Angelina hatte ihre Stimme wieder gefunden. „Du bist beleidigt, stimmt’s? Und jetzt, jetzt machst du es dir ganz einfach und gehst, so wie du es immer machst. Wir sind hier nicht in Hogwarts, Matthew. Hier kannst du dich nicht verkriechen.“ Ihre Stimme wurde immer zorniger.
Matthew ließ die Klinke wieder los und atmete tief ein. Erst als er seine Schwester ansah, bemerkte diese, dass er traurig ausschaute. Urplötzlich fühlte sie sich schuldig.
„Matthew… ich… es tut mir Leid“, erklärte sie bestürzt. Doch ihr Bruder schüttelte nur mit dem Kopf und zwang sich zu einem Lächeln.
„Es muss dir nichts leid tun. Ich möchte nur nicht wieder mit dir Streiten“, sagte Matthew und gab ihr einen Kuss auf die Stirn, dann trat er auf den Flur und ging den Korridor entlang. Bevor er in Rons und sein Zimmer ging flüsterte er noch leise: „Gute Nacht.“
°*°*°*°*°*
Angelina seufzte. Matthew war immer so… so schwierig. Es war nicht so, dass sie ein Problem mit ihm hatte. Nein, egal was Harry, Ron oder Hermine sagten, sie nahm ihn immer in Schutz. Im letzten Schuljahr hatten sie nur selten gestritten. Eigentlich hatte sie sich nur mit Draco ständig in den Haaren, aber wenn sie mit Matthew stritt, dann war es immer das Selbe:
Sie sagte etwas, das ihn kränkte, verletzte oder ihm nicht passte und dann verschloss er sich. Es war nie absichtlich, aber statt mit ihr darüber zu reden, sagte er immer, es sei alles in Ordnung und sie habe keine Schuld. Dann schwiegen sie sich ein paar Tage an und alles war vergessen.
„Geht es dir nicht gut?“, fragte Ginny, als Angelina mit betrübter Mine in die Bibliothek kam.
Sie schüttelte nur mit dem Kopf: „Nein Ginny, alles in Ordnung.“
„Hast du dich mit deinem Bruder gestritten?“, fragte Ginny vorsichtig.
„Hat er mal wieder den arroganten Slytherin raushängen lassen?“, fragte Ron. „Glaub mir, es ist der Mühe nicht wert, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.“
Angelina sah in zornig an: „Halt… deine Klappe Ronald. Du hast überhaupt keine Ahnung und mischt dich in Dinge ein, die dich nichts angehen.“ Wütend griff sie nach einem Buch im Regal und begann zu lesen.
°*°*°*°*°*
Den Rest des abends saß Angelina still in einem der Sessel in der Bibliothek und schrieb an einem Aufsatz für Alte Runen. Mehrmals versuchte Ginny, das Gespräch wieder aufzunehmen, doch Angelina ignorierte sie größtenteils.
Draußen wurde es immer dunkler und bald konnte man nur noch den sternklaren Himmel erkennen.
Ein Blick auf die Wanduhr in einer der Ecken des Raumes verriet, dass es schon weit nach Mitternacht war, als man auf der Treppe wieder Schritte hören konnte.
Mit einem knarrenden Geräusch ging die Bibliothekstür auf und Remus kam herein. Er schien ziemlich verwundert, die Drei noch hier anzutreffen.
„Ihr solltet längst im Bett sein. Was macht ihr noch hier?“, fragte er mit flüsternder Stimme.
„Wir haben die Zeit vergessen“, sagte Angelina und räumte ihre Sachen zusammen. Ron und Ginny taten es ihr gleich, dann sprang sie auf und lief zur Tür.
Remus hielt sie vorsichtig am Arm fest: „Hast du noch ein paar Minuten für mich?“
Angelina löste sich mit einer unsanften Bewegung wieder von ihm: „Hast du nicht gerade gesagt, dass wir längst ins Bett gehören?“
„Es wird sicher nicht lange dauern und jetzt ist es eigentlich auch egal, wie spät es wird“, erklärte Remus und lächelte.
„Können wir auch noch bleiben?“, fragte Ginny, doch diese Frage wurde bereits von Mrs. Weasley beantwortet, die sich sehr darüber aufregte, dass sie noch nicht im Bett waren.
„Ich bleibe noch wach und warte auf dich“, flüsterte Ginny Angelina zu, als sie an ihr vorbeiging und diese nickte nur. Mrs. Weasley wünschte ihnen noch eine Gute Nacht, bevor sie die Tür zuzog und Angelina mit Remus alleine war.
„Also?“, fragte Angelina und sie bemühte sich, genervt zu klingen, denn sie wollte immer noch nicht mit Remus reden. „Was willst du? Ich bin ziemlich müde.“
Remus schüttelte verständnislos mit dem Kopf: „Du bist ziemlich abweisend seit wir hier sind und wenn ich ehrlich bin, verstehe ich nicht so recht warum.“
Angelina schnaubte. Remus seufzte und ging rüber zum Fenster: „Erinnerst du dich noch an unser Gespräch vor einem Jahr?“, fragte er.
Angelina überlegte einen Augenblick und schwieg weiterhin.
„Es ist jetzt fast genau ein Jahr her, dass deine Mutter starb“, fuhr er unbeirrt fort und Angelina schluckte. Sie wusste nun ganz genau, worauf er hinaus wollte.
„Als ich zu den Weasleys kam, saßt du im Wohnzimmer in einem Sessel, genau wie diesem hier“, erklärte er und deute auf die drei Sessel um den Tisch, an dem sie kurz zuvor noch mit Ginny und Ron gesessen hatte. „Du warst am weinen.“ Mit diesem Worten drehte er sich zu ihr um und blickte sie an, doch sie rührte sich nicht.
„Als ich dein Pate wurde, Angelina, da habe ich deiner Mutter versprochen, es dir nie zu erzählen. Sie war der Meinung, es dir selber zu sagen, wenn sie es für den richtigen Zeitpunkt hielt.“ Remus hielt inne. „Nur dazu kam es leider nicht mehr.“
Angelina kämpfte nun mit den Tränen. Nein, sie würde jetzt nicht weinen, wie sie es vor einem Jahr getan hatte. Sie würde jetzt einfach schweigend weiter zuhören, aber es fiel ihr verdammt schwer. Wollte er sie quälen, indem er sie daran erinnerte. Wollte er sie so dazu bringen, wieder mit ihm zu sprechen?
„Das… das hast du schon mal erzählt“, krächzte sie und wischte sich über die Wangen.
„Nach deinem Verhalten heute morgen war ich mir nicht mehr ganz sicher, ob du dich noch an unsere Abmachung erinnerst“, erklärte Remus.
„Ich hab es nicht vergessen“, versicherte sie ihm.
Remus nickte und fuhr dann weiter fort: „Ich hab dir damals alles genau erklärt und die Vereinbarung war, dass ich mich um dich während der Sommerferien um dich kümmere und du dich bei Probleme an mich wenden kannst. Ich versprach dir, mich nicht in deine Angelegenheiten einzumischen, solange ich es nicht für notwendig halte und in diesem Fall denke ich, dass es notwenig ist.“
Angelina sagte nichts. Dass er sie an all diese Dinge erinnerte sorgte dafür, dass ihr all der Trauer von vor einem Jahr, alles was sie damals gefühlt und gedacht hatte, augenblicklich wieder in Erinnerung schoss. Sie musste sich erst einmal setzen. Sie taumelte zu den Sesseln und ließ sich hineinfallen. Für einen kurzen Augenblick schloss sie die Augen.
„Angelina, ich werde mich auch weiterhin nicht in deine Sachen einmischen und ich weiß, du findest es unfair, aber den Briefwechsel mit Draco Malfoy werde ich dir nicht gestatten.“
Sie sagte nichts. Sie würde den Brief an Draco morgen Früh mit Matthews Eule losschicken. Daran konnte er nichts mehr ändern.
„Wenn du dich nicht einmischen willst…“, begann Angelina, doch Remus fiel ihr ins Wort:
„Wir werden nicht darüber diskutieren.“ Damit war das Thema abgehackt. Zumindest vorerst, denn Angelina vermutete, dass dies nicht das letzte Mal sein würde, dass sie darüber sprechen würden.
Angelina wischte sich über die Augen und die Tränen weg, dann wollte sie aufstehen, doch Remus hielt sie zurück.
„Da ist noch etwas, was dich bedrückt!“ Es war mehr eine Feststellung, als eine Frage. Remus blickte sie an: „Ich erinnere dich nochmals daran, wenn du ein Problem hast, kannst du dich an mich wenden.“
>>Worauf will er eigentlich hinaus? <<, fragte Angelina sich. Ahnte Remus etwa, dass sie sich mit Matthew gestritten hatte oder war sie so leicht zu durchschauen, dass Remus gemerkt hatte, dass sie darüber nachdachte.
„Worüber grübelst du?“ Remus bestätigte ihre Vorahnung. Angelina war sich unschlüssig, ob sie mit ihm darüber reden sollte und auch dies schien Remus zu merken, denn er ließ sich ihr gegenüber in einen Sessel fallen und sah sie an.
„Angelina, wir sollten deinen Wutausbruch von heute Morgen vergessen. Ich bin dir nicht böse. Ich hätte an deiner Stelle sicher genauso reagiert, aber du kannst mir vertrauen. Wenn du ein Problem hast, dann möchte ich dir auch helfen können.“
„Wie soll ich dir vertrauen, wenn du mich so hintergehst?“, fuhr sie ihn an.
„Wir werden nicht darüber diskutieren, dass habe ich dir eben schon gesagt, aber du hast natürlich Recht. Ich hätte mit dir vorher darüber reden sollen“, sagte Remus.
In Angelina stieg erneut Wut auf. Remus’ Einsicht allerdings besänftigte sie ein wenig.
„Willst du noch über irgendetwas sprechen?“, fragte Remus.
Sie war sich nicht sicher, ob sie mit Remus über die Dinge reden konnte, die ihr gerade so durch den Kopf flogen: „Können wir ein anderes mal darüber reden? Ich bin müde und…“
„Wann immer du reden willst“, erklärte Remus.