Kapitel 12 – Überschäumende Gefühle
Nachdem Angelina das Abteil der Slytherins verlassen hatte, war sie in das Abteil ihrer Klassenkameraden aus Gryffindor zurückgekehrt.
„Wo warst du so lange? Ich dachte, du wolltest nur deinen Bruder suchen?“, fragte Ginny.
„Wollte ich auch, aber dann habe ich deine Brüder getroffen. Wusstest du, dass Angelina Johnson neuer Kapitän des Quidditch- Teams ist, Harry?“, fragte Angelina an Harry gewandt.
„Ich habe schon damit gerechnet“, nickte er. „Hat sie gesagt, wann die Testspiele für den neuen Hüter sind?“
„Nicht direkt, aber sie hat gefragt, ob ich es nicht vielleicht auch versuchen will. Weil Matthew ja auch spielt glaubt sie, ich wäre genauso gut“, berichtete sie.
„Davon abgesehen, dass dein Bruder eine totale Niete ist…“, begann Ron.
„Du hast ihn nicht ein einziges Mal spielen sehen. Wie kannst du ihn so verurteilen?“, fuhr Angelina ihn an.
„Wie auch immer“, meinte Harry. „Du hast nicht zugesagt?“
„Ich habe gesagt, dass ich es mir bis Ende der ersten Schulwoche überlege.“ Damit war das Gespräch für Angelina beendet.
°*°*°*°*°*°*
Draußen war es schon stockdunkel, als der Hogwarts- Express den kleinen Bahnhof in Hogsmeade erreichte. Gedankenverloren folgte sie den anderen zu einer der Kutschen. Sie wollte schon einsteigen, als Harry sie am Umhang festhielt und sie fragend ansah.
„Was sind das für Wesen?“
„Wovon redest du, Harry?“, fragte sie verwirrt zurück.
„Kannst du sie nicht sehen?“, wollte er wissen.
„Was sehen, Harry?“, fragte Hermine.
„Die Wesen, die die Kutsche ziehen“, erklärte er.
„Die Kutschen werden von nichts gezogen, Harry“, meinte Ron.
„Harry, bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?“, fragte Angelina unsicher. Harry nickte bloß und dann stiegen Angelina, Ron Hermine, Neville, Ginny, Harry und Luna in eine der Kutschen.
Angelina wollte gerade die große Halle betreten, als sie abermals jemand zurückhielt. Verwirrt drehte sie sich um und erblickte Draco.
„Warum warst du heute Nachmittag so schnell weg?“, fragte er.
„Es gab keinen Sitzplatz mehr.“ Sie versuchte gleichgültig zu klingen, doch Draco sah sie trotzdem skeptisch an.
„Wie du meinst.“ Er schüttelte kurz mit dem Kopf und sah sie dann ernst an: „Ich muss unbedingt mit dir und Matthew reden“, erklärte er. „Alleine!“
Angelina nickte verwirrt. Sie wollte etwas erwidern, doch Hermine zog sie am Ärmel.
„Wir müssen in die Halle“, flüsterte sie.
„Morgen“, sagte Draco fest entschlossen. „Ohne irgendwelches Anhängsel“, fügte er mit Nachdruck und einem Seitenblick Richtung Hermine hinzu.
Angelina nickte erneut und sie betraten die große Halle.
Professor McGonagall verschloss die Flügeltüren und wie bei jeder Mahlzeit kehrte munteres Gemurmel in der großen Halle ein.
„Sag mal, Angelina, ist Malfoy mit Parkinson zusammen?“, rief Lee Jordan quer über den Gryffindor-Tisch zu ihr herüber.
„Wie kommst du darauf?“, fragte Angelina und drehte sich auf ihrem Platz, um zum Slytherin-Tisch hinüber blicken zu können.
Draco unterhielt sich mit Matthew und Blaise. Pansy saß neben ihm und hatte ihren Kopf leicht auf seine Schulter gelegt. Sie schien den Jungen zuzuhören.
„Nicht dass ich wüsste“, antwortete Angelina knapp und drehte sich schnell wieder um, als Draco kurz herüber blickte. Sie wich seinem Blick aus.
„Sieht aber schwer danach aus“, sagte Lee.
Angelina zuckte mit den Schultern: „Ist doch ihre Sache.“
„Sie hat sich während der Ferien sehr verändert“, flüsterte Hermine ihr zu.
„Wer?“, fragte Angelina verwirrt.
„Na, von wem redet ihr denn?“, fragte Ginny
„Ähm… ich rede von niemandem?“, fragte Angelina verwirrt weiter.
„Parkinson“, meinte Ginny.
„Was soll mit ihr sein?“, wollte Angelina wissen.
„Beim Merlin, bist du überhaupt geistig anwesend?“, fragte Hermine vorwurfsvoll.
Angelina wurde ein wenig rot. Sie warf erneut einen Blick hinter sich Richtung Draco und Pansy. Hermine hatte irgendwie Recht. Mit ihren Gedanken war sie ein bisschen woanders.
„Sie… ihre Haare“, flüsterte Hermine und Angelina drehte ihren Kopf zu ihren beiden Freundinnen zurück.
„Mit den langen Haaren sieht sie dir ziemlich ähnlich“, stimmte Ginny Hermine zu.
„Es… es ist euch auch aufgefallen?“, fragte Angelina neugierig.
„Es ist ja nicht zu übersehen, dass sie wie ein Doppelgänger von dir durch die Gegend rennt“, erklärte Hermine.
Angelina nickte: „Um ehrlich zu sein, stört es mich, dass sie genauso aussieht wie ich. Die Anderen waren alle begeistert“, erzählte sie. „Ich will nicht sagen, dass sie damit nicht toll aussieht. Ganz im Gegenteil, aber…“
„Du hast das Gefühl, sie will dich loswerden?“, unterbrach Ginny sie.
„Woher…?“
„Es war eigentlich… ziemlich offensichtlich“, lächelte Hermine. „Aber glaub mir, Matthew und Draco wollen dich sicher nicht loswerden, da kann Parkinson tun was immer sie will.“
„Und so schnell lässt du dich ja auch nicht loswerden, schließlich gehst du mir schon seit drei Jahren auf den Geist“, grinste Ginny.
„Und mir vier“, fügte Hermine lächelnd hinzu. Die drei mussten lachen.
Einen Augenblick später öffnete sich die Flügeltür wieder und Professor McGonagall kam gefolgt von den neuen Erstklässlern in die Halle.
Der sprechende Hut sang wie jedes Jahr ein Lied, doch dieses Jahr führte das Lied zu Unruhe in der Halle.
„Will er, dass wir uns mit den Slytherins verbünden und so tun, als wären wir beste Freunde?“, fragte Ron skeptisch, als der Hut schließlich geendet hatte.
„Es wäre effektiver, wenn du nicht nur so tun würdest mit ihnen befreundet zu sein, Ron“, erklärte Angelina daraufhin kopfschüttelnd.
„Sehr witzig, als wenn man mit denen befreundet sein könnte. Also da müsste man schon….“ Als Ron bemerkte, was er gerade sagte, hielt er mitten im Satz inne und begann zu stottern: „Ich… es…“
„Was wolltest du denn sagen? Vielleicht müsste man verrückt sein? Total durchgeknallt? Verzweifelt?“, fuhr Angelina ihn zischend an.
„Es tut mir Leid. Ich habe nicht…“, begann Ron, doch Angelina ließ ihn nicht zu Wort kommen.
„Nicht nachgedacht, ich weiß schon. Du denkst fast nie bevor du etwas sagst.“
„Hey“, rief plötzlich Harry dazwischen. „Mag ja sein, dass Ron manchmal den Mund zu weit auf macht, aber…“
„Aber was? Fangen wir jetzt wieder an darüber zu diskutieren, warum…“
„Seid still! Alle drei“, fuhr Hermine dazwischen und dann war es still.
Auch während des Essens herrschte Stille unter den Freunden. Die einzige die sich unterhielt war Ginny. Sie unterhielt sich mit ein paar Mitschülern aus ihrem Jahrgang. Ab und an warf Angelina noch einen Blick über ihre Schulter, Richtung Draco und Matthew, aber eigentlich saß sie teilnahmslos am Gryffindor-Tisch und wartete darauf, dass Dumbledore sie in ihre Schlafsäle schickte.
Allerdings hielt er nach dem Essen erst mal seine alljährliche Rede, wobei die in diesem Jahr von Professor Umbridge, der neuen Lehrerin für Verteidigung gegen die Dunklen Künste, unterbrochen wurde. Sie hielt ebenfalls eine Begrüßungsrede und schon nach drei, vier Sätzen war sich Angelina sicher, dass dies ein richtig tolles Jahr werden würde.
Umbridge erzählte, dass das Ministerium der Ausbildung von Zauberern ein großes Maß an Wichtigkeit zugeschrieben habe, da es befürchtete, der Schatz an Magischem Wissen könne verloren gehen.
Ein kurzer Blickwechsel zwischen Angelina und Hermine zeigte, dass sie das gleiche dachten: Irgendwas lief hier falsch. Das Ministerium hatte sich nicht in Dumbledores Angelegenheiten einzumischen.
°*°*°*°*°*°*
„Wir müssen den Erstklässlern den Weg hoch in den Turm zeigen. Wir sehen uns später im Schlafsaal“, erklärte Hermine, bevor sie mit Ron vom Tisch aufstand. Zurück blieben Angelina und Harry. Ginny war bereits aufgestanden und mit ein paar Mitschülern aus ihrem Jahrgang verschwunden.
Langsam standen sie auf und schlängelten sich durch die Menge. Sie schwiegen sich immer noch an und auf dem Weg in die Eingangshalle bemerkte Angelina, dass etwas anders war als sonst. Hätte sie sich mit Harry ganz normal unterhalten, wäre es ihr sicher nicht aufgefallen: Ihre Mitschüler starrten Harry alle an. Einige warfen ihm angsterfüllte Blicke zu und tuschelten aufgeregt.
Sie fühlte sich dabei unwohl in ihrer Haut und wollte gar nicht erst wissen, wie Harry sich wohl fühlte. Wie ging es einem eigentlich, wenn alle anderen dachten, man wäre ein Lügner? Wäre man wütend? Sauer? Verzweifelt? Fühlte man sich einsam? Vielleicht genauso einsam, wie Angelina sich nach dem Tod ihrer Mutter gefühlt hatte? Ganz egal, wie Harry sich im Augenblick fühlen musste, eines war sicher: Angelina glaubte ihm.
Der Streit in der Halle mit Ron und Harry war augenblicklich vergessen, denn falls irgendjemand behaupten wolle, dass Harry Lügen über Voldemort verbreite, so war sie sicher, würde sie demjenigen schon ihre Meinung sagen.
Niemand, aber auch wirklich niemand, hatte das Recht, einen Menschen zu verurteilen, nur weil jemand anderes, in diesem Fall der Tagesprophet, das Gegenteil behauptete. Erstrecht nicht, wenn man eigentlich keine Ahnung hatte, was wirklich die Wahrheit war, weil man die Wahrheit nicht hören wollte.
„Weißt du das neue Passwort?“, riss Harry sie wieder aus den Gedanken.
„Was?“, fragte sie verwirrt.
„Das neue Passwort, kennst du…“
„Ich weiß es, Harry.“ Neville kam von irgendwoher angelaufen. Er nannte das Passwort und sie kletterten in den Gemeinschaftsraum. Mit einem knappen „Gute Nacht“ verabschiedete sich Harry dann von ihr.
Müde und kraftlos, warum auch immer, stieg sie die Treppen zum Schlafsaal empor und schmiss sich auf ihr Himmelbett.
„Wie waren deine Ferien?“, wollte Lavender wissen. Sie kam gefolgt von Parvati in den Schlafsaal.
„Eigentlich ganz in Ordnung“, antworte Angelina. Sie hatte keine große Lust mit den beiden über irgendetwas zu reden. Die zwei hätten sowieso kein wirkliches Interesse an dem, was sie zu erzählen hätte.
Es war schon immer so gewesen. Auch wenn Parvati und Lavender ganz nett sein konnten, seit Angelina und Hermine sie am ersten Schultag in Hogwarts kennen gelernt hatten, mochten sie sie nicht besonders. Nicht mögen war vielleicht der falsche Ausdruck. Sie hatten einfach viel zu unterschiedliche Interessen und manchmal fragten sich Angelina und Hermine, was die beiden eigentlich in Gryffindor zu suchen hatten.
„Wie waren eure?“, stellte Angelina höflich die Gegenfrage.
„Klasse“, entgegnete Parvati. „Ich war bei meinen Großeltern und…“ Es schien als hätte sie nur darauf gewartet, dass irgendjemand diese Frage stellte, denn es dauerte zehn Minuten, bis Angelina oder Lavender wieder zu Wort kamen, da Parvati einen detaillierten Bericht ablegte. Wobei Angelina glaubte, dass er auswendig gelernt sein musste.
„Und wie waren deine Ferien?“, fragte Angelina Lavender.
„Eigentlich auch ganz okay, wobei mir meine Mutter meinte ich soll mich von Potter fern halten, weil er nur Lügen erzähle“, erzählte Lavender und betrachtete sich im Spiegel.
Angelina wurde hellhörig und blickte auf: „Was hast du gerade gesagt?“ Ihre Stimme klang verwirrt, als wolle sie sich vergewissern richtig gehört zu haben.
„Was ist daran schwer zu verstehen?“, fragte Lavender.
„Ich glaubte, verstanden zu habe, du hättest gerade gesagt, dass Harry lügt“, entgegnete Angelina.
„Tut er doch auch. Oder glaubst du ernsthaft daran, dass Du-weißt-schon-wer zurück ist und ihn beim Trimagischen Turnier umbringen wollte?“, wollte Lavender wissen.
„In der Tat. Das glaube ich“, erklärte Angelina fest und war von ihrem Bett aufgestanden. „Glaubst du etwa jedes Wort, das im Tagespropheten steht?“, fragte Angelina zurück.
„Nun ja… es… es ist doch eine Zeitung. Die… die dürfen doch gar nichts bringen, was gelogen ist“, sagte Lavender etwas verunsichert.
„Rita Kimkorn arbeitet auch bei der Zeitung und du kannst sicher sein, dass jeder, aber auch wirklich jeder Bericht, den sie bringt, nicht ein Körnchen Wahrheit enthält“, sagte Angelina ernst.
„Aber sie ist eine Ausnahme“, entgegnete Lavender.
„Man kann nicht alles auf Ausnahmen schieben“, fuhr Angelina sie gereizt an.
„Hey, lass Lavender in Ruhe“, ging jetzt Parvati dazwischen.
„Was ist hier los?“ Hermine stand in der Schlafsaaltür.
„Angelina und Lavender haben eine kleine Meinungsverschiedenheit, aber Angelina geht eindeutig zu weit“, antwortete Parvati.
„In diesem Schlafsaal herrscht immer noch Meinungsfreiheit“, erklärte Angelina.
„Eben drum, deshalb kannst du nicht einfach an Lavenders Meinung rumfeilen, denn diese Freiheit gilt auch für sie. Nicht nur für dich, Parker“, fuhr Parvati sie an.
„Hört auf, verdammt“, schrie Hermine sie an. „Was beim Merlin ist los mit euch? Habt ihr eben nicht zugehört, was der Hut gesagt hat? Die Schule ist in Gefahr und wir sollen zusammenhalten.“
„Lavender glaubt dem Tagespropheten“, erklärte Angelina.
Hermine atmete tief ein und blickte Angelina tadelnd an. Warum musste sie auch immer so sturköpfig sein. Dann blickte sie zu Lavender und Parvati: „Wisst ihr, man sollte nicht alles glauben, was der Tagesprophet schreibt“, erklärte Hermine fest. „Dumbledore und Harry sind beide weder geistesgestört noch machtsüchtig.“
„Es ist eine Zeitung. Sie dürfen keine Lügen bringen, warum sollten sie denn sonst etwas Derartiges schreiben?“, fragte Lavender abermals.
Hermine seufzte: „Sag mal, wie leichtgläubig kann man eigentlich sein?“
„Deswegen braucht ihr sie nicht so anzufahren“, meinte Lavender.
„Ach, glaubt doch was ihr wollt, aber eins sag ich dir.“ Angelina blickte Lavender ernst an. „Falls ich mitbekommen sollte, wie du im Gemeinschaftsraum oder sonst wo rum erzählen solltest, dass Harry lügt, dann kannst du sicher sein, dass unser Zusammenleben in diesem Schlafsaal die längste Zeit friedlich war.“
„Angelina“, mahnte Hermine und legte eine Hand auf ihre Schulter, um ihr zu deuten, dass es jetzt genug war, doch Parvati ließ das nicht auf sich Ruhen und verteidigte ihre beste Freundin.
„Willst du ihr etwa drohen?“
„Wenn es sein muss. Sie kann glauben was sie will, aber wenn sie auch noch anfängt, Lügen zu verbreiten, dann…“
„Ruhe verdammt! Ich glaube, die lange Zugfahrt ist euch nicht bekommen.“ Hermine schrie abermals.
Angelina sagte daraufhin gar nichts mehr und ging ins Bett.