Prolog:
Wenn wir jetzt gemeinsam die Straße entlang laufen, dann kommen mir, obwohl es schon so lange her ist, immer noch die Tränen. Ja, es ist lange her. Fast zehn Jahre um genau zu sein. Jetzt ist alles vorbei, aber der Schmerz, den ich spüre, wenn ich die dunkel verhangenden Fenster ansehe, ist immer noch stark.
Früher hieß ich noch Angelina Brooklyn Parker. Zusammen mit meiner Mutter wohnte ich damals in einem kleinen Haus am Rande von London. Ich vermisste in meiner Kindheit nichts. Nun gut, vielleicht vermisste ich doch etwas. Wenn meine Mutter arbeitete fühlte ich mich manchmal einsam. Sie war als Aurorin sehr viel unterwegs. Sehr, sehr viel. Und wenn ich dann abends allein am Fenster in meinem Zimmer saß, fragte ich mich immer wieder warum.
Schon mit sieben Jahren begann ich zu Fragen, wo mein Vater sei, aber meine Mutter wich mir immer wieder aus und erzählte, dass ich für solche Dinge noch zu klein sei. Ich beließ es dabei. Vorerst jedenfalls.
Im April 1991 wurde ich 11 Jahre alt und kurze Zeit später, im Juni, erhielt ich einen Brief von Hogwarts. Ich war sehr aufgeregt. Meine Mutter hatte mir schon sehr oft von diesem Ort erzählt. Als ich drei Jahre alt war erzählte sie mir Gute- Nacht- Geschichten über ihre Schulzeit dort. Ich musste sehr oft lachen. Immer wenn meine Mutter davon erzählte, leuchteten ihre Augen. Dieser Ort musste einzigartig sein. Wenn ich sie allerdings danach fragte, was aus ihren damaligen Freunden geworden war, von denen sie ja so viel erzählte, dann wich sie mir wieder aus. Sie wollte oder konnte mir davon nichts erzählen. Nachdem ich sie immer wieder danach gefragt hatte erzähle sie mir nichts mehr von früher. Sie tat so, als gäbe es ihre Vergangenheit nicht.
Ich kann mich allerdings daran erinnern, dass etwa im Jahr 1985 zwei Männer zu besuch gewesen waren. Beide sollte ich erst viel später wieder treffen.
Mit meinem ersten Jahr in Hogwarts veränderte sich sehr viel in meinem Leben. Ich lernte drei wunderbare Freunde kennen. Hermine Granger, Ronald Weasley und Harry Potter. Wenn ich heute an damals zurück denke, huscht mir immer noch das eine oder andere Grinsen übers Gesicht. Ich weiß nicht, ob ich es ohne sie überlebt hätte. Als wir noch die unteren Stufen von Hogwarts besuchten, gab es zwei Jungen in unserem Jahrgang, die uns oft genug das Leben zur Hölle machten: Draco Lucius Malfoy und Matthew Ted Tonks.
Allerdings lernte ich noch jemanden kennen. Diesem Jemand widmete ich in meinem ersten Hogwarts-Jahr meine gesamte Aufmerksamkeit. Er hieß: Severus Snape. Als Percy Weasley, einer der älteren Brüder von Ron, ihn beim ersten Festessen in der großen Halle erwähnte schossen mir augenblicklich die Erzählungen meiner Mutter wieder in Erinnerung. Sie hatten ihn sehr oft erwähnt. Und sie schien ihn gemocht zu haben.
Doch schon in meiner ersten Stunde Zaubertränke musste ich feststellen, dass es bei Severus Snape überhaupt nichts zu lachen gab. Snape war eine grantige, fiese Fledermaus. Und diese Meinung teilte ich mit Harry, Ron und Hermine.
Nach den Ereignissen an Halloween wuchsen wir Vier noch mehr zusammen. Und während der Weihnachtsferien, die ich mit Harry und Ron in Hogwarts verbrachte, weil meine Mutter wie immer unterwegs war, und ich erzählte ihnen was ich über Snape wusste. In der gleichen Zeit stellten Harry und ich fest, dass seine und meine Mutter die besten Freundinnen in Hogwarts gewesen waren.
Am Ende des Schuljahres stellten wir fest, dass aus den Streitigkeiten am Anfang des Schuljahres eine enge Freundschaft geworden war, die auch heute noch besteht. Ron, Harry, Hermine und ich sitzen noch oft zusammen und lachen über Erinnerungen aus unserer Schulzeit.
Das zweite Schuljahr auf Hogwarts war ein einziges großes Durcheinander, so wie eigentlich meine gesamte Schulzeit. Ein Schuljahr lang waren wir auf der Suche nach dem Erben von Slytherin. Ginny, Rons jüngere Schwester, hatte in diesem Jahr viel zu leiden. Es machte mich traurig, dass mir nie aufgefallen war, wie schlecht es ihr ging.
Wenn ich ihr heute davon erzähle, dann lacht sie nur darüber und sagt, sie sei ein zu naives kleines Mädchen gewesen und ich solle mir da mal keine Gedanken machen.
Dann, kurz bevor mein drittes Jahr auf Hogwarts anbrach, passierte etwas und zum ersten Mal seit Jahren sprach meine Mutter wieder sehr offen mit mir. Sie machte sich sehr, sehr große Sorgen um mich.
Sirius Black war aus Askaban ausgebrochen. An dem Abend, als es im Abendprophet stand, hatte sie nur geweint. Ich hatte sie nicht beruhigen können und deshalb verbrachte ich die Ferien auch Zuhause bei meiner Mutter, statt wie geplant Hermine zu besuchen. In diesem Sommer sah ich dann auch den zweiten Mann wieder der meine Mutter einmal besucht hatte: Remus John Lupin.
Ich mochte ihn. Ja, ich mochte ihn wirklich. Er kam zwei Tage nachdem die Nachricht im Abendprophet erschienen war. Er kam nur einmal bei uns vorbei, aber allein die Tatsache, dass er meiner Mutter half und dafür sorgte, dass sie nicht mehr weinte, reichte schon aus, um beim mir Sympathiepunkte sammeln.
Dementsprechend erstaunt war ich dann, als ich ihn auf der Fahrt nach Hogwarts wieder sah, und feststellte, dass er der neue Lehrer in Verteidigung gegen die Dunklen Künste geworden war. Aber es freute mich. Hermine, Ron und Harry fanden ihn ebenfalls sofort sympathisch.
Dieses dritte Schuljahr war mein Lieblingsjahr, obwohl meine Mutter sehr viel Angst um mich gehabt hatte, als ich am Bahnhof in den Zug stieg. Sie wollte mir die Erlaubnis für die Hogsmeade- Ausflüge nicht unterschreiben.
Nein, dass hatte sie nicht unterschreiben wollen. Ich war sehr sauer gewesen.
Ich blieb also gemeinsam mit Harry in Hogwarts, während die Anderen sich im Dorf amüsierten, und Professor Lupin brachte uns bei, wie wir uns mit dem Patronus- Zauber gegen Dementoren wehren konnten.
Ich wartete immer schon auf die Wochenenden, wenn die Anderen wieder nach Hogsmeade gingen.
Ich freute mich auf die Unterrichtsstunden bei Professor Lupin. Meine Mutter schrieb mir allerdings in ihren Briefen, dass sie davon eigentlich gar nicht so begeistert war. Ich nahm an, dass es an Remus lag, und dass sie verhindern wollte, dass ich ihn nach der Vergangenheit meiner Mutter fragen könnte und aus diesem Grund tat ich es auch nicht.
Am Ende dieses Jahres stellte ich fest, dass die Sorge meiner Mutter vor dem Mörder Black ganz umsonst gewesen war. Sirius Black war unschuldig. Als Harry uns damals einander vorstellte, musterte er mich erst eine Weile, blickte Remus, ich meine Professor Lupin, an und lächelte mich dann an. Damals verstand ich diesen Blickwechsel nicht.
Meine Mutter konnte ich allerdings bis zu ihrem Tod nicht davon überzeugen, dass Sirius Black kein Mörder war. Ja, meine Mutter starb. Die Sommerferien hatten gerade begonnen und die Weasleys hatten Karten für die Quidditch-WM. Ich war nicht Zuhause, als es geschah. Meine Mutter hatte eine Auftrag erhalten und fort gegangen, und nie wieder gekommen. Man fand ihre Leiche weit ab von London. Der kurze Wink eines Zauberstabs, die Worte „Avada Kedavra“ und von jetzt auf gleich nahm man mir alles, was mir etwas bedeutet hatte.
Den Rest der Ferien verbrachte ich bei den Weasleys. Was im nächsten Jahr sein würde wusste ich noch nicht. Und es war mir auch total egal. Alles wurde mir egal. Ich ließ mich hängen, bekam nichts mehr mit. Hermine, Ginny und ich saßen damals oft in den Sesseln vor dem Kamin des Gemeinschaftsraumes und wir redeten. Ich hörte allerdings fast nie hin. Hermine und Ginny schien es nicht aufzufallen und sie ließen mich mit meiner Trauer allein. An Ron oder Harry konnte ich mich nicht wenden. Die beiden waren zerstritten. Nur wegen diesem blöden Trimagischen Turniers.
Bis Halloween saß ich jeden Abend mit Hermine und Ginny in diesen Sesseln, danach verbrachte ich die Zeit eigentlich nur noch auf den Ländereien.
In dieser Zeit lernte ich zwei Jungen aus meinem Jahrgang von einer ganz anderen Seite kennen. Draco Lucius Malfoy und Matthew Ted Tonks. Draco war ein kleiner Angeber, wenn man sich aber länger mit ihm unterhielt, dann war er erstaunlich nett. Matthew war kein großer Redner, aber ich konnte mit ihm alles erzählen. Er hörte mir zu, wenn Hermine, Ginny, Harry oder Ron wegsahen. Die zwei Jungen waren in diesen Monaten immer für mich da.
Ron war mir gegenüber sehr misstrauisch geworden. Und auch Harry war sich nicht mehr sicher, ob er mir vertrauen konnte. Diese Tatsache traf mich sehr und ich wandte mich für einige Zeit von ihnen ab.
Dann kam das Weihnachtsfest. Ich hatte mich nicht wirklich darauf freuen können, aber dass ich mich wieder mit Harry und Ron versöhnte veränderte alles. Dann kam das neue Jahr und es sollte um vieles besser werden als das Alte.
Remus hatte zwischen den alten Sachen meiner Mutter ein Fotoalbum gefunden und er schickte es mir. Was er allerdings scheinbar nicht gemerkt hatte, war das in diesem Album Seiten eines Tagebuches lagen. Hätte er davon gewusst, hätte er mir das Album sicher nie geschickt.
Einzelne Tagebuchseiten sind meist nicht sehr aufschlussreich, aber eines der Fotos dagegen war sehr, sehr interessant. Meine Mutter, und auf ihrem Arm: Zwei Babys. Eindeutig Zwillinge. Was mich an dem Bild besonders reizte, war die Tatsache, dass das eine Kind ich war.
Ich musste eines der beiden Kinder sein, denn beide Kinder sahen genauso aus, wie ich auf Kinderfotos.
Ich erzählte zunächst niemandem davon. Ich trug es jedoch ständig bei mir. Das war wahrscheinlich eine meiner besten Ideen gewesen, denn nach einem Streit mit Draco fiel es mir aus der Umhangtasche. Ich wollte es aufheben, aber er bekam es vor mir in die Finger. Als er es ansah wurde er blass. Er fragte mich, ob ich wisse, wer die Leute auf dem Foto seien. Ich war in diesem Augenblick sehr wütend und als ich es ihm erzählte, wurde er noch blasser. Da er sowieso schon eine sehr helle Haut hatte sah er inzwischen fast wie ein Geist aus.
Es hatte keine zehn Sekunden gedauert, bis Draco mich am Handgelenk gepackt hatte und ich hinter ihm her in die Bibliothek lief. Matthew hatte aufgesehen und Draco hielt ihm mein Foto unter die Nase.
An diesem Tag lernte ich meinen Bruder kennen. Als er mir sein Foto hinhielt und mir sagte, wer er ist, liefen Tränen über mein Gesicht. Freudentränen. Ich war nicht mehr allein. Nein, ich würde nie wieder allein sein.
Matthew und ich verbrachten immer mehr Zeit mit reden. Noch viel mehr als vorher schon. Ich wollte alles über ihn wissen. Leider stellten wir beide fest, dass keiner von uns sich erklären konnte, warum wir getrennt worden waren.
Dann ging das Jahr langsam zu Ende. Es nahm dann doch noch ein trauriges Ende. Cedric starb. Es kullerten sehr viele Tränen. Und ich glaube von diesem Tag an legte sich langsam aber sicher ein noch dunklerer Schleier über mein Leben.
Harry erklärte allen, dass der Dunkle Lord zurück war. Ich glaubte ihm. Ich glaubte ihm ohne auch nur in Erwägung zu ziehen, dass er Unrecht haben könnte.
Die Sommerferien begannen und am Bahnhof wartete Remus auf mich. Ich weiß nicht wieso, aber als ich ihn da stehen sah lief ich einfach auf ihn zu, fiel ihm um den Hals und weinte. Er war da. Er stellte keine Fragen und brachte mich dann nach Hause. Ich packte sehr schnell alles ein, was ich mitnehmen wollte.
Zwei Tage später kam der Schulleiter. Er holte mich persönlich ab und brachte mich zum Grimmauld Place Nummer zwölf.
Und hier begann meine Suche. Die Suche nach meinem Vater und den Gründen, warum wir nie eine Familie hatten sein dürfen.