Kapitel 4 – Noch mehr Wutausbrüche
„Erzählst du mir davon?“, bat Angelina.
„Wo von?“ Sirius schien irritiert.
„Du sagtest doch gerade meine Mutter hätte gehofft, dass ihr aufhört zu streiten. Wer sollte aufhören zu streiten?“
„Nun… James und ich hatten uns öfter mit gewissen Slytherins in den Haaren.“ Sirius rutschte ein wenig auf dem Stuhl hin und her. Angelina beobachtete das belustigt.
Sie grinste: „Erzählst du mir davon?“, fragte sie erneut.
„Was willst du da groß wissen? Wir haben uns öfter gezofft. Nichts Besonderes.“ Er wollte ihr ausweichen. Angelina kannte das nur zu gut. Ihre Mutter war ihr auch ständig ausgewichen.
„Mit wem solltet ihr nicht mehr streiten? Mit Snape?“, bohrte Angelina weiter.
„Woher…Wie kommst du darauf?“ Sirius sah sie durchdringend an.
„Es stimmt also?“ Angelina grinste.
„Schon ja. Liz, deine Mutter und Lily hatten immer das Bedürfnis uns davon abzuhalten ihn zu verhexen. Aber woher weißt du davon?“
„Mum hat Snape öfter mal erwähnt“, erklärte Angelina schulterzuckend.
„Sie hat dir von Schniefelus erzählt?“ Sirius schien erstaunt.
„Als ich kleiner war hat sie mir oft von ihrer Schulzeit erzählt. Sie hat auch von Lily und James Potter, Remus und dir gesprochen“, erzählte sie ihm.
„Wirklich, hat sie das?“
„Ganz oft. Es waren ihre Gute-Nacht-Geschichten. Jeden Tag erzählte sie etwas anderes über Hogwarts.“ Angelinas Augen begannen zu leuchten und Sirius musste lächeln. „Aber irgendwann hat sie aufgehört damit“, fügte Angelina traurig hinzu und Sirius’ Lächeln verschwand wieder.
„Warum hat sie aufgehört davon zu erzählen?“
„Ich hab angefangen Fragen zu stellen.“ Angelina wich seinem fragenden Blick aus. „Ich hab angefangen nachzuhaken, warum sie den Kontakt zu euch abgebrochen hat.“
„Das hätte ich auch gern gewusst“, seufzte Sirius. Er sah sie an: „Da war noch was, nicht wahr? Du hast noch mehr gefragt?“
Angelina nickte: „Ich wollte wissen, wer mein Vater ist.“
Sirius schwieg. Mit dieser Antwort hatte er nicht unbedingt gerechnet.
Doch Angelina brach die Stille schnell: „Du kannst es mir auch nicht sagen, hab ich Recht?“ Sirius schüttelte den Kopf. „Weißt du, es wundert mich bloß, dass es mir niemand sagen kann. Und dabei wart ihr alle so gute Freunde.“ Angelinas Stimme wurde leiser. Sie blickte Sirius an. „Ich würde nur gerne wissen, warum sie ihre Vergangenheit vergessen wollte. Verstehst du das?“ Sirius nickte. Er wich nun ihrem Blick aus und sah zum Küchenfenster, durch das noch vor ein paar Stunden die Eule von Draco herein geflogen war. „Weißt du einen Grund, warum sie mir nie gesagt hat, dass Remus mein Pate ist?“, fragte Angelina in das Schweigen hinein.
Sirius blickte wieder zu ihr und schüttelte den Kopf: „Nein, es macht auch überhaupt keinen Sinn. Warum sollte sie Remus zu deinem Paten machen, wenn sie nicht möchte, dass du ihn kennst?“ Sirius schüttelte abwesend mit dem Kopf.
„Woran denkst du?“, fragte sie vorsichtig.
Sirius schüttelte verneinend den Kopf: „Vollkommen unwichtig.“
°*°*°*°*°*°*
Das Gespräch wurde im nächsten Augenblick unterbrochen, als Remus rein kam. Angelina wollte jetzt nicht mit ihm reden. Sie war immer noch sauer, dass er ihr verboten hatte, Draco zu schreiben, aber darüber würde sie sowieso noch mal mit ihm sprechen müssen.
Sie stieg darauf hin die Treppen in den ersten Stock hoch und öffnete die Tür zu dem Zimmer, dass sie sich mit Hermine und Ginny teilen würde. Das rothaarige Mädchen war gerade dabei, ihren Koffer ein wenig auszuräumen.
„Hey, alles klar?“ Ginny musterte sie mit einem etwas besorgten Blick.
„Natürlich Ginny.“ Angelina grinste und setzte sich auf eines der Betten. Ginny hatte ihren Koffer unter das ganz linke Bett geschoben und Angelina beschloss nun das Bett in der Mitte zu nehmen. Ihre beiden Koffer standen immer noch achtlos neben der Tür und deshalb begann sie nun auch, sich ein bisschen einzurichten.
„Was… war da eben los?“, fragte Ginny vorsichtig.
„Wovon redest du?“ Angelina sah sie verwirrt an.
„Ron und Matthew!“
Angelina seufzte: „Du kennst sie doch. Ganz egal wie, Hauptsache sie können den anderen provozieren, bis er den Verstand verliert.“ Angelina schüttelte den Kopf.
„Nun…“ Ginny wusste nicht recht was sie sagen sollte. „Er ist ein…“
„Slytherin?“ Angelina funkelte das Mädchen böse an. „Ja, beim Merlin, ja er ist ein Slytherin. Aber Ginny, er ist mein Bruder. Ich dachte, du akzeptierst das.“
„Natürlich versteh ich das. Aber du weißt doch wie stur Ron ist...“ Ginny brach ab. Sie hörten wie vor ihrem Zimmer geschrieen wurde.
Angelina ahnte schon, wer es war und lief auf den Flur, dicht gefolgt von Ginny. Die Stimmen wurden lauter.
„Was ist hier denn los?“ Fred und George streckten die Köpfe aus einer Tür auf der anderen Seite des Flures. Doch Angelina antwortete nicht und lief die Treppe zur Bibliothek hoch.
„HOL DIESES VIEH AUS DEM ZIMMER!“, hörte man von innen jemanden brüllen.
Angelina riss die Tür auf, diese knallte laut gegen eines der Regale. Wie beim ersten Mal, als sie diesen Raum betreten hatte wirbelte Staub auf. Und die Stimmen verstummten augenblicklich.
Da standen sie. Ron und Matthew. Beide hatten den Zauberstab in der Hand und richteten ihn auf den Anderen.
„Angelina“, flüsterte Matthew in die Stille. Er schien zu hoffen, dass seine Worte sie besänftigen würden, denn ihr Gesicht verriet, dass sie zornig war. Augenblicklich senkte der Slytherin den Zauberstab und trat einen Schritt von Ron zurück.
„Es tut mir leid“, murmelte er und trat auf Angelina zu. Diese drehte den Kopf weg.
„Es ist ja noch schlimmer, als in der Schule“, zischte sie.
„Dann sag ihm, er soll dieses Vieh aus dem Zimmer holen. Es durchwühlt meine Sachen“, knurrte Ron.
„Welches Vieh?“ Angelina blickte verwundert zu Ron.
„Er hört nicht auf mich“, verteidigte sich Matthew.
„Wovon redet ihr überhaupt?“ Angelina sah die beiden Jungen abwechselnd an.
„Kreacher, dieser Hauself macht was er will.“ Matthew sah seine Schwester an. „Du bist ihm noch nicht begegnet?“
„Willst du auch gar nicht. Das Ding wirft meine ganzen Sachen quer durchs Zimmer“, meckerte Ron.
„Und warum habt ihr euch dann jetzt schon wieder in den Haaren?“, fragte Angelina.
„Dein Bruder hat das Teil auf mich gehetzt“, beschuldigte Ron Matthew.
„Ich sagte bereits, Weasley. Er hört nicht auf mich“, rief Matthew.
„Das kannst du deiner Großmutter erzählen“, sagte Ron.
„Ja, könnte er. Wenn er wüsste, wer seine Großmutter ist!“, schrie Angelina ihn nun an, machte auf dem Absatz kehrt und zog Ginny, die die ganze Zeit nur stumm zugehört hatte, hinter sich her zurück in den ersten Stock.
Auch dort unten war wieder Gepolter.
„BLUTSVERRÄTER! ÜBERALL BLUTSVERRÄTER IN MEINEM HAUS!“, hörte Angelina Sirius’ Mutter brüllen.
Tonks und Sirius waren damit beschäftigt, die Vorhänge wieder zu zuziehen, während Remus die Treppe hoch kam.
„Was geht hier oben vor? Wer schreit hier so rum?“, wollte er von ihnen wissen.
„Frag Ron und Matthew!“, gab Angelina ihm zur Antwort und ging an ihm vorbei.
„Angelina, bleib…“, doch Angelina hörte Remus schon nicht mehr, denn sie hatte die Tür zu ihrem Zimmer hinter sich zugezogen.
Sie ließ sich einfach aufs Bett fallen: >> Ich dreh hier noch durch. Zwei Tage hier sind schlimmer, als eine Stunde Geschichte bei Binns. <<
°*°*°*°*°*
Den Rest des Nachmittags ließen sie Angelina in Ruhe. Sie verließ das Zimmer nicht und arbeitete an einem Aufsatz für Verwandlung.
Ginny kam zwischendurch einmal ins Zimmer und hatte in ihrem Koffer gekramt, aber unterhalten hatten sie sich nicht.
Erst zum Abendessen klopfte Matthew vorsichtig an die Tür und fragte, ob sie nichts essen wolle. Sie beschloss nach einem knappen Wortwechsel, doch in die Küche zu gehen.
Matthew hielt ihr die Tür auf und als Angelina in die Küche trat saßen da eine Menge Zauberer. Erst jetzt, da so viele Menschen an dem Küchentisch saßen, fiel Angelina auf, wie groß die Küche eigentlich war. In dem Raum hätte bestimmt der gesamte fünfte Jahrgang und noch einige andere Schüler Platz gefunden und sie hätten immer noch alle gemeinsam essen können, ohne sich gegenseitig zu behindern.
Angelinas Laune war immer noch nicht die beste und es wurde alles andere als besser, als sie sah, dass der einzig leere Platz am Tisch zwischen Sirius und Remus war. Sirius war weniger das Problem. Nein, das Problem war Remus. Nur unter Protest setzte sie sich auf den leeren Stuhl und begann etwas zu essen.
Sie aß recht wenig und trank lieber etwas mehr von dem Tee, den Sirius ihr eingeschüttet hatte. Dann sah sie in die Runde um zu sehen, wer alles anwesend war.
Da waren natürlich Remus, Tonks, Sirius, Matthew und die Weasleys: Mr. und Mrs. Weasley, Fred, George, Ron und Ginny.
Moment, fehlte da nicht wer? Angelina sah fragend die Tischreihe entlang. Wo war denn Percy? Sie beschloss, Ginny später danach zu fragen und sah sich weiter in der Runde um.
Der Zauberer vom gestrigen Abend war ebenfalls wieder da.
>>Wie hatte Remus ihn gestern noch mal genannt? Shacklebolt, Kingsley Shacklebolt. <<
Professor McGonagall und Professor Moody waren ebenfalls wieder anwesend. Die anderen Zauberer kannte Angelina alle nicht. Sie lehnte sich in ihren Stuhl zurück und trank erneut einen Schluck Tee.
„Bist du immer noch sauer auf Remus?“ Sirius hatte sich ebenfalls in seinen Stuhl zurück gelehnt und seinen Kopf Angelina zugedreht.
„Nur, weil er mein Pate ist, kann er nicht alles was ich mache kontrollieren. Er hat kein Recht mir zu sagen, was ich zu tun und zu lassen habe. Er ist nicht mein Vater“, zischte Angelina.
„Hat er denn behauptet dein Vater zu sein?“, fragte Sirius.
„Nein, aber…“
„Kein Aber. Angelina, ich bin sicher, dass er nur das Beste für dich will.“ Sirius sah sie an.
Angelina seufzte: „Mit euch Erwachsenen ist es doch immer das Gleiche. Alle auf einer Seite.“ Sie wandte den Blick zur anderen Seite. Remus unterhielt sich mit einer Hexe ein paar Plätze weiter. Sie atmete erleichtert ein. Er musste schließlich nicht mitbekommen, dass sie über ihn redeten.
„Es ist trotzdem nicht fair“, fing Angelina von neuem an. „Wenn deine Eltern dir gesagt hätten, du dürftest während der Ferien keine Briefe an deine Freunde schreiben, was würdest du denn dann machen?“
„Abgesehen davon, dass ich mir von meinen Eltern schon mit dreizehn Jahren nichts mehr hab sagen lassen… okay, vielleicht hast du recht. Ich hätte mich wahrscheinlich auch unfair behandelt gefühlt, aber Angelina, du darfst eins nicht vergessen. Der Vater deines Freundes ist einer der engsten und treuesten Anhänger des Dunklen Lords. Er ist der Grund, warum wir hier alle in diesem verkommenden Haus wohnen, warum wir den Orden neu einberufen haben und er, er dessen Namen nicht genannt werden darf ist der Grund, warum deine Mutter sterben musste.“ Sirius machte einen Augenblick Pause.
„Angelina, ganz egal wie gut du Malfoy Junior zu kennen glaubst. Ganz egal, wie sehr du ihm vertraust. Es wäre zu riskant ihm zu schreiben. Stell dir vor, Lucius Malfoy würde einen der Briefe abfangen. Es braucht nur ein falsches Wort in diesem Brief zu stehen. Nur ein einziges Wort, Angelina, und du könntest in Gefahr sein.“
Angelina hatte Sirius stillschweigend zugehört. Sie unterbrach ihn nicht. In seinen dunklen Augen konnte sie eine Spur von Angst sehen. Und erst jetzt erkannte sie, wie ernst Remus die Sache war. Er wollte ihr nichts verbieten. Remus machte sich Sorgen.
Immer noch an Sirius’ Worte denkend, ließ sie sich von ihm neuen Tee einschenken. Sie führte die Tasse zum Mund um erneut einen Schluck zu trinken. Im gleichen Augenblick klopfte es an der Küchentür und Albus Dumbledore betrat die Küche, gefolgt von Severus Snape.
Angelina stellte schnell die Tasse auf den Tisch und begann zu husten. Sie hatte sich erschrocken, als Snape die Küche betreten hatte und an ihrem heißen Tee verschluckt.
Der Schulleiter begrüßte sie alle und zauberte zwei Stühle herbei. Snape und Dumbledore setzten sich zu ihnen an den Tisch, an Snapes Gesichtsausdruck jedoch konnte Angelina erkennen, dass es ihm genauso wenig passte sich zu ihnen zu setzen, wie ihr selbst. Nein, es passte ihr ganz und gar nicht. Jetzt waren Ferien und trotzdem wurde sie ihn nicht los.
Sirius klopfte ihr immer noch auf den Rücken. Als sie aufhörte zu husten warf sie einen kurzen Blick zu Matthew, der genauso erstaunt darüber schien, dass Snape hier war, wie sie.
„Was macht der hier?“, zischte Angelina Sirius zu.
Doch Remus antwortete an dessen Stelle: „Er ist ebenfalls Mitglied des Ordens.“
Angelina sah Remus verwundert an, wandte den Blick zu Snape und beobachtete ihn einen Augenblick. Als ihr klar wurde, was hier vor sich ging, ballte sie ihre Hände zu Fäusten. Noch in der gleichen Sekunden hatte sie eins beschlossen: Wenn der Orden Snape vertrauen konnte, dann konnte sie auch Draco vertrauen und sie würde noch heute Abend Pergament und Feder zur Hand nehmen, um ihm eine Antwort zukommen zu lassen.